KI killt Schauspieler-Jobs - Synchron- und Sprecher-Geschäft im Umbruch
Ein renommiertes Münchner Synchronstudio hat Insolvenz angemeldet. Andernorts werden Schauspieler informiert, dass ihre Dienstleistung nicht mehr gebraucht werde. Sprecher-Agenturen verzeichnen Einbrüche von 60 Prozent und mehr.
Von Susanne Hermanski
Mehrere Hundert Filmproduktionen haben die Münchner Wavefront Studios mit ihren Synchronisationen begleitet. Darunter Filme wie „Die drei ??? - Erbe des Drachen" und „Tausend Zeilen" über den deutschen Presseskandal um Claas Relotius von Michael Bully Herbig. Jetzt sind die Studios insolvent. Und auch wenn der vom Amtsgericht München zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte Marc-André Kuhne Zuversicht verbreitet und von „einigen Interessenten für eine Übernahme" berichtet, schlägt die Nachricht mit Wucht ein in eine waidwunde Branche.
Beim gerade beendeten Filmfest München war die Disruption des Sprecher-Business' Thema bei vielen Empfängen, vor allem unter Schauspielern und deren Agenten: Ihnen brechen zunehmend die Aufträge weg - nicht nur von Synchronstudios. Viele fürchten, dass etwa das Einlesen von Hörbüchern und das Aufsagen von Werbe-Claims bald keine Einkunftsquelle mehr für sie darstellen könnte. All das sind wichtige Säulen eines Schauspieler-Einkommens. Denn die wenigsten kommen auf genügend Drehtage im Jahr, um davon gut über die Runden zu kommen - besonders im teuren München und wenn sie kein festes Theaterengagement haben.
„Schon jetzt sprechen wir von einem Umsatzrückgang um bis zu 60 Prozent und mehr", sagt Susanne Eiber, die seit 21 Jahren die Agentur mit dem schönen Namen „Engelszungen" betreibt und Stars wie Götz Otto und Kathrin Ackermann in ihrem Portfolio hat. Überall, wo es möglich ist, werde versucht, die menschliche Stimme mit einer KI-Stimme zu ersetzen. Ob in Dokus, Warteschleifen von Call-Centern, bei Hörbüchern, Schulungs-, Image- und Industriefilmen oder Werbung. Die Ergebnisse der KI-Produktionen seien „noch lange nicht 100-prozentig, aber erschreckend gut". Und die „wirtschaftlichen Folgen für die Sprecher und Schauspieler sind dramatisch, wenn nicht verheerend", sagt Eiber. „Ich befürchte, dass eine Berufsgruppe, die der sprechenden Kunst, von der Bildfläche verschwindet."
Viele der Sprecher seien bereits auf der Suche nach weiteren Standbeinen. Ebenso die Synchron-Regisseure und Synchron-Drehbuchautoren. „Deren Stühle wackeln natürlich auch", sagt Eiber. Einige versuchten sich als Coaches und böten Workshops an. Andere beschritten ganz neue Wege und machten Ausbildungen zum Qigong-Meister und jobbten im Einzelhandel et cetera. Und sie selbst? „Das ist eine gute Frage, ich werde auf jeden Fall zuletzt das Schiff verlassen", sagt Eiber. „Ich bin ursprünglich Drogistin. Leider gibt es diesen Beruf auch nicht mehr."
Bis es ihre aktuelle Profession nicht mehr gibt, will sie weiterkämpfen: „Vor einem Jahr sprach ich noch von einer Verschiebung. Nun muss man überlegen, wie wir aktiv mit unseren Sprechern an der Entwicklung Teil haben und eventuell sogar davon profitieren können, indem man sich die KI zunutze macht", sagt die Agentin. „Ich denke da an künstliche Stimmen-Double unserer Sprecher, die immer und überall abrufbar sind und das in allen gewünschten Sprachen."
Die niedrigen Summen, die bisher für solche Total-buy-out-Angebote in Deutschland kursieren, erschrecken unterdessen die Schauspieler: von 800 Euro für eine gesamte Serienstaffel ist da die Rede. Dass die Schauspieler sich auf die Hinterbeine stellen werden, und so ausdauernd streiken wie ihre Hollywood-Kollegen, erwartet Eiber eher nicht: „Ich erfahre zwei verschiedene Stimmungen unter den Sprechern. Die einen, die sich ebenfalls gerne dagegenstellen würden. Und die anderen, die meinen, dass es eben kommt, wie es kommen muss, und man es nicht stoppen kann."
Der Streit von Scarlett Johansson mit Open Al hat die Sprecher aufgerüttelt
Wie absurd sich die Lage gestaltet, wird offenkundig, liest man die Begründungen des Insolvenzverwalters für die Pleite von Wavefront. Unter anderem wirke im Bereich Synchronisation noch der Autoren- und Schauspielerstreik in den USA nach, der im vergangenen Jahr stattfand, schreibt er. Die amerikanischen Schauspieler erkämpften sich bei den großen Filmstudios Regelungen für den Einsatz von KI im Film. Deshalb verzögerten sich zahlreiche Produktionen, und in der Folge seien auch Aufträge für die Wavefront Studios abgesagt oder verschoben worden. Weil gleichzeitig auch das Volumen deutscher Eigenproduktionen zurückgegangen sei - „vorübergehend", wie der Insolvenzverwalter meint -, „war ein Insolvenzantrag unvermeidlich".
Als „wesentliche Ursache für die Krise des Unternehmens" bezeichnet Insolvenzverwalter Kuhne aber auch den „branchenweiten Einbruch der Gesamtauftragslage". Und der schlug zu, trotz der „16 hochmodernen Tonstudios und Edit-Suiten mit digitaler Tontechnik auf dem neuesten Stand". Im Angebot hat die 2007 gegründete Wavefront die Audio-Postproduktion für Kinofilme, Fernsehfilme und -Serien sowie Trailer und Werbespots. Der Insolvenzverwalter betont, dass vorhandene Aufträge „von einem hoch motivierten Team" dennoch abgearbeitet würden, und es zudem bereits neue Produktionsaufträge gibt, daher sei „die mittelfristige Prognose grundsätzlich positiv".
Es mag auch der Technik bedürfen, um rein synthetische Stimmen zu bearbeiten; manche Sprecher befürchten für sich trotzdem das Schlimmste. Nicht zuletzt, seit US-Star Scarlett Johansson öffentlich gemacht hat, dass sie davon überzeugt ist, der Chatbot von Open Al verwende ohne Erlaubnis ihre Stimme.
Und für Bedenken sorgen auch E-Mails wie jene, die kürzlich von „Loft Studios" verschickt worden ist. Darin informierte das Tonstudio-Netzwerk mit Standorten in Frankfurt, Berlin und Hamburg nicht nur, dass man zum 1. Juli den neuen Namen Fridge Audio führen werde. Man stelle sich auch sonst „neu auf" und konzentriere sich etwa in Frankfurt „voll auf Al Audio".
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Quelle: SZ